Wirklich nicht innenstadtrelevant?

Teil 9 des Dossiers "Renaissance für den Städtebau" - Über die Möglichkeiten der Stadt

Nach all den Ausführungen und Bildbeispielen soll nun ein Begriff aus einer engen Definition befreit werden, wie es ihm leider in der Stadtplanung geschieht: Der Begriff innenstadtrelevant bzw "nicht innenstadtrelevant" für große Einzelhandelsansiedlungen auf dem Acker.

Ursprünglich haben sich die Städte als Zentrum des Handels, Gewerbes und der Kultur in einer Landschaft herausgebildet, die ansonsten nur ackerbaulich genutzt wurde. In der Neuzeit kam man dann auf die Idee, bestimmte Produkte könnten in der Stadt nicht verkauft werden, seien daher ohne Relevanz. Dies ging mit der Einführung von Fußgängerzonen und autogerechten Erschließungsstraßen einher.

Dies ist falsch. Denn die Stadt bietet weit mehr Möglichkeiten des Handels, als die Relevanzkategorien vorgeben. Es stellt sich daher die Frage, ob "nicht innenstadtrelevant" wirklich nicht innenstadtrelevant ist.

Falsch ist

  • Reduktion der Innenstädte auf Flaniermeilen zum Erwerb von Schuhen und Bekleidung
  • Ausschließliche Funktion Wohnen für Stadtquartiere außerhalb der Zentren

Richtig ist

  • Rückbesinnung auf Funktionen der Stadt (Handel, Verwaltung, Gewerbe..) mit Öffnung für „nicht innenstadt-relevante“ Dinge.
  • In der Stadt möglich: Auto- und Möbelhäuser, Handel für Heimwerken
  • Früher störendes Gewerbe (Gerber,…) fällt durch Emissionsschutz kaum noch auf. Daher kann die ganze Stadt zum Mischgebiet mit offener Definition des Gewerbes erklärt werden.

Zulässiges Gewerbe ist danach jede herstellende Tätigkeit, die nicht wesentlich stört. Eine  Auslagerung wegen  Emission stellt damit keinen Grund mehr dar.

 

 

Album oben, "Nicht Innenstadtrelevantes" in der Stadt, Bilder von Matthias Böhringer: (Bild 1) Für Autohäuser müssen nicht zwingend ganze Autohausquartiere erschlossen werden. Gerade auch für kurze Wege spricht die Ansiedlung in mitten der Stadt wie hier in der geschäftigen Herrenstraße unweit der Fußgängerzone. Statt mit dem Leihauto geht es von hier mit der Straßenbahn weiter. (Bild 2) Eine leider schon historische Aufnahme: Bis 2008 bewies das Traditionsunternehmen Polster Richter mit seiner Karlsruher Filiale gegenüber dem Kronenplatz, dass Polstermöbel auch in der Fußgängerzone verkauft werden können. Markenzeichen waren die eigenen, in Deutschland hergestellten Produktlinien. Doch der Strukturwandel der Branche mit "nicht innenstadtrelevanter" (billig-)Konkurrenz auf ehemals fruchtbaren Äckern und Streuobstwiesen erfasste auch Polster Richter, so dass 2009 Insolvenz angemeldet werden musste. (Bild 3) Möbel in einem ehemaligen Gewerbebau am Rande des B-Zentrums Durlach. Gelungene Umnutzung an einem Ort, der auch per Rad und mit kombiniertem ÖPNV/zu Fuß gut zu erreichen ist. 


Wege zur kleinräumigen Nutzungsmischung

Teil 10 des Dossiers "Renaissance für den Städtebau"

Nun, warum werden nicht häufiger lebendige Quartiere geplant und geschaffen? Im folgenden wurden verschiedene Gründe gegen und Wege zur kleinräumigen Nutzungsmischung zusammengestellt.

 

  • Es wird immer wieder gerne postuliert, Verhältnisse wie um 1900 ließen sich heute nicht wieder herstellen. Doch ist das wirklich so? Eine kleinräumige Funktionsmischung ist immer noch nützlich, machbar nur eben anders als gründerzeitliche mit neuen und  modernisierten Branchen, Gewerbe und Dienstleistungen. Die Offenheit für eine große Vielfalt unterschiedlicher Nutzungen muss gegeben sein. Koexistenz mit verminderten Emissionen möglich.
  • Es steht der Vorbehalt im Raum, in der Stadt seien die Grundstückspreise teurer. Dieses Vorurteil  ist unbegründet. Wirklich teuer sind nur die Lagen in den Zentren. Stadtbrachen liegen oft in günstigeren Stadtteilen. Dichte Bebauung und vertikale Nutzungsmischung erfordern nur ein Drittel der sonst benötigten Grundstücksfläche. Auch werden durch die kurzen Wege Fahrtkosten eingespart.
  • Seit den Anstrengungen der Städteplaner, nach dem 2. Weltkrieg die Stadt neu zu erfinden haben sie keine kleinteilig funktionsgemischten Quartiere mehr konzipiert und hergestellt. Der sich dadurch eingestellte Mangel an Erfahrung in Stadtplanungsbüros und Immobilienwirtschaft hat eine Hemmschwelle aufgebaut. Bedenken der Bauträger gegenüber kleinteilig funktionsgemischten Projekten haben sich gefestigt. 
Daher müssen mit Phantasie neue Wege  für die Planung und Umsetzung neuer Quartiere gefunden und ausprobiert werden.  Dabei müssen bereits im Vorfeld  die unterschiedlichen Bedürfnisse kleiner Nutzer gehört werden. Ziel ist es, diesen Nutzern zu ermöglichen, Grundeigentum zu erwerben, das sie nach eigenen Vorstellungen bebauen können. Die Werkzeuge dazu können sein:
  • die Bildung von Parzellen zur Veräußerung an Private
  • Bauen in Baugemeinschaften
  • die Einführung freiberuflicher Baubetreuung
  • Einbeziehung der Altersvorsorge in Genossenschaftsmodelle

 

Zur Förderung der Innenentwicklung gibt es zahlreiche Förderprogramme und Forschungen. Einige davon sind aus der Motivation hervorgegangen, dem Flächenverbrauch zu begegnen.

Logos und Programme

"Land Use Management for Sustainable European Cities" (LUMASEC); 2002 rief die EU das Programm "URBACT" ins Leben, das den Wissenstransfer zur nachhaltigen urbanen Entwicklung befördern soll. Die URBACT - Arbeitsgruppe LUMASEC setzt den Schwerpunkt der Forschung auf Strategien zum Flächenmanagement. Führender Partner ist das Institut für Städtebau und Landesplanung (ISL) am KIT.
"Forschung für die Reduzierung der Flächeninanspruchnahme und ein nachhaltiges Flächenmanagement" (REFINA); Förderschwerpunkt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung als Teil der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung.
"Modellprojekt zur Eindämmung des Landschaftsverbrauchs durch Aktivierung innerörtlicher Potenziale" (MELAP) des Ministeriums für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucherschutz Baden-Württemberg; 3 Gemeinden realisierten modellhafte Lösungen zur Vermeidung von Neubaugebieten im Außenbereich und erprobten Verfahren zur Aktivierung innerörtlicher Potenziale. Bestandteil des Modellvorhabens waren auch Maßnahmen der Bürgerbeteiligung und der Öffentlichkeitsarbeit. Das Modellprojekt wurde wissenschaftlich begleitet. 2009 wurde das Folgeprojekt Melap+ ausgeschrieben. 2010 wurden insgesamt 13 Gemeinden ausgewählt, die verschiedene Regionen in Baden-Württemberg und unterschiedliche Problemstellungen repräsentieren. Hierbei werden bis zum Jahr 2015 private, gewerbliche und kommunale Projekte aus Mitteln des Entwicklungsprogramms Ländlicher Raum gefördert. Jede Modellgemeinde erhält Fördermittel zwischen 500.000 und 1,5 Millionen Euro, je nach Problemlage und Größe des Modellortes. Ziel ist eine neue Qualität der innerörtlichen Entwicklung und ein lebhafter Meinungsbildungsprozess der Bürgerschaft für die Innenentwicklung.
Portal zur nachhaltigen Innenentwicklung von Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg
"Modellvorhaben Kommunales Flächenmanagement Landkreis Karlsruhe" (MOKKA); Just zum Spatenstich zum Edeka-Fleischwerk Anfang Oktober 2009 startete der Landkreis Karlsruhe das Programm "MOKKA". Damit sollen Potentiale für die innerörtliche Erschließung von Wohnflächen in drei Beispielgemeinden Gondelsheim, Graben-Neudorf und Karlsbad erschlossen werden. Leider wird bei dieser Initiative zur Förderung der kommunalen Innentwicklung vorerst noch außen vor gelassen, wie dem Flächenverbrauch für Gewerbe, Industrie und Handel begegnet werden kann. Schließlich gibt es im Rahmen der kleinräumigen Funktionsmischung auch hier Möglichkeiten einer innerörtlichen Entwicklung.
"Praktiziertes Flächenmanagement in der Region Freiburg" (Pfif); Forschungsprojekt zum Flächenmanagement zur Anwendung und Erprobung von konkreten Umsetzungsinstrumenten, Weiterentwicklung von qualitativen und methodischen Standards nachhaltiger Siedlungsentwicklung und durch die Zusammenführung bisher nicht kooperierender Akteure.
Eine Bewegung geht gegen die Gleichmacherei unserer Städte an und tritt ein für die Entschleunigung: Cittaslow, gegründet 1999 in Italien. Seitdem schließen sich weltweit immer mehr Städte der Vereinigung lebenswerter Städte an, sofern sie nicht mehr als 50.000 Einwohner haben. In Baden-Württemberg dürfen Waldkirch, Überlingen und Nördlingen das Logo mit der Schnecke führen. Warum streben die Städte die Erfüllung der Kriterien von Cittaslow an? Weil sie erkannt haben, dass der ewige Wettbewerb mit Einkaufszentren, die Landschaft zersiedelnden Speckgürtel, flächenverbrauchenden Fleischfabriken und eintönigen Discountern am Ortsrand ihnen die Identität nimmt und nicht im Einklang mit einer Nachhaltigen Entwicklung steht. Das nur all zu oft von den Städten geförderte schematisierte von Großunternehmen designte Leben führt zu einem Leben in einer austauschbaren Stadt. Ziel ist eine Nachhaltige Stadtentwicklung mit Förderung des Agenda 21 Prozesses, der eigenen Identität, der Regionalkultur und der regionalen Produkte.