Die Planungsleitbilder der vergangenen Jahrzehnte kannten in der Hauptsache nur den funktionalistischen Städtebau. Er sieht eine Trennung von Wohnen, Gewerbe, Handel, Freizeit usw in gesonderten Gebieten vor. Auf den ersten Blick erscheint es auch reizvoll, Wohnblöcke in Parklandschaften mit großem Abstandsgrün zu stellen. Doch wie schauen solche Wohnlandschaften heute aus, wie ist es um den Erholungswert der Grünflächen bestellt und welche Probleme bringen diese Siedlungen wie auch die Auslagerung von Handel und Gewerbe an die Peripherie mit sich?
Beim funktionalistischen Städtebau sind die Nutzungen unterschiedlicher Funktionen nicht mehr flächensparend gestapelt. Das Nebeneinander im selben Quartier galt nicht mehr zeitgemäß, in früheren Jahren wegen Emissionen evtl. auch berechtigt. Die Stadtplanung vollzog die Verteilung auf verschiedene Zonen ("Zonierung").
Man spricht heute auch vom Bruch der Städteplaner mit der Geschichte und der europäischen Stadtbaukunst, denn das Idealbild von der kompakten Stadt löste sich auf. Über Jahrhunderte galt in der Entwicklung der Stadt das Grundprinzip "Una casa una città, una città una casa" was soviel heißt wie, "Das Haus ist eine kleine Stadt, die Stadt ist ein großes Haus". Das Haus ist die Grundeinheit des Blocks, der Block ist repititiver Grundbaustein der Stadt. In diesem Muster ist das Haus die kleinste Grundeinheit der Stadt mit verschiedenen Typen. Eine Reihe von Häusern ergeben den Baublock. Damit ergab noch bis zum Jugendstil Anfang des 20. Jahrhunderts ein nuanciertes und heterogenes Bild der Stadt mit Nutzungsmischung.
Danach galten offene Baustrukturen als zukunftsweisend und sie wurden in die Städte gestreut. Der Zeilenbau wurde zum neuen Grundbaustein. Die Grenze zwischen der geschlossenen Stadt und der unverbauten Landschaft wurde aufgehoben. Die Stadt erweiterte sich an den Rändern mit geringerer Dichte und wurde durchlässig zur Landschaft; Satellitenstädte und Gewerbegebiete fressen sich wie Krebsgeschwüre in die Landschaft, die dann nur noch als inselhafte Restfläche übrig bleibt. An der Peripherie entstand urbanes Niemandsland.
Handel und Gewerbe erhalten in gesonderten Gebieten, zumeist im Außenbereich großzügigen Platz für ihre eingeschossigen Bauten inkl. üppigen Parkraum. Dies wird mit der Notwendigkeit nach wirtschaftlicher Entfaltungsmšglichkeit und den Bedürfnissen eines "modernen" Handels begründet. Ein eigener kommunaler Gestaltungswille wird mit der Unterordnung unter die Interessen des marktbeherrschenden Teils der Wirtschaft aufgegeben. Statt gegen die Dynamik der Handelskonzerne anzugehen gibt man sich dieser preis.
Da wird der Ruf nach Bedarfskritik laut.
Bild oben: Das Einkaufszentrum in Knielingen an der Sudetenstraße. Discounter und Vollversorger fordern immer größere Flächen. Die Stadt stellt diese im Zuge der Bebauungsplanung für eingeschossige Flachbauten und Parkplätzen bereit. Diese Märkte sind als Solitäranlagen nicht in den Wohngebieten integriert.
Einst brauchten die Städte für ihre Existenz ein Hinterland, das ihre Versorgung garantierte. Fruchtbare Gegenden brachten florierende Städte hervor. Diese Bindung gibt es heute nicht mehr. Und so frißt sich der urbane Raum mit Gewerbegebieten in die Landschaft, Siedlungen wachsen mit Wachstumsringen. Beispiel hier Bruchsal zwischen Kraichgau und A5. Da sind die Äcker von bebauten Flächen umgebenumgeben, die Marke „Bruchsaler Spargel“ am namensgebenden Ort auf Restflächen zurückgedrängt.
Bild oben: Neue Messe Karlsruhe auf Gemarkung Forchheim - Neue Messehallen trotz eines Überschusses an Messestandorten in Deutschland. Noch keine Ausgleichsmaßnahme umgesetzt und trotzdem wurde die Brachfläche davor für das Edeka-Fleischwerk annektiert. Indessen war der fragwürdige Ausgleich (ein Bienenstreifen) für das Fleischwerk laut Umweltamt Rheinstetten erfolgreich. Die Logik, was eh schon Maisacker ist, kann auch bebaut werden machte leider nicht der Idee einer extensiven Landwirtschaft Platz.
Bild oben: Baumärkte. Obwohl Deutschland die höchste Dichte an Bau- und Heimwerkermärkten hat, der Preiskampf härter denn je ist, denken einige nicht an Wachstumsstillstand. Statt vernünftigerweise zu schrumpfen, sollen die Verkaufsflächen noch mehr wachsen.
Bild oben: Namen wie Roßweid, Tagweid, Storrenacker geben eine letzte Erinnerung von dem was anstellte der weitläufigen Gewerbegebiete mal war. Hier zwei locker gebaute Ensemble mit niedrigen Bauten im Hagsfelder Gewerbegebiet Roßweid. Es müssten sicher nicht alle Betriebe ein exklusives Gebiet haben, einige wären sicher auch in Mischgebieten integrationsfähig.
Bild links: Gewerbegebiet Storrenacker? Es ist mehr eine Ansiedlung von Teppichhändlern, Fashion Outlet und anderen. Dabei gehört das in die Stadt. Fläche soll Gewerbe vorbehalten sein, das große Flächen benötigt.
Bild oben: Wo Leerstände sind, sollte die Flächennutzung erst einmal ausgeschöpft werden. Leerstände wie hier im Gewerbegebiet Roßweid zeigen, wie nötig Leerstands- und Baulückenkataster sind, die gerade erst aufgebaut werden (z. B. Baulückenkataster für Wolfartsweier)
Ein Teil der zuvor genannten Aspekte zu den Ursachen des Flächenverbrauchs entspringen keinen stadtplanerischen Ideen wie die funktionalistische oder offene Stadt. Die Sicherung der wirtschaftlichen Entfaltung und die Unterordnung unter die Interessen der Wirtschaft sind vielmehr getrieben vom gepflegten Bild der Stadt im Wettbewerweb.
Die kommunalen Entscheidungsträger agieren dabei so, als wären ihre Städte Unternehmen am Markt.
Die Stadt im Wettbewerb wird als natürlich und unvermeidbar gegeben angesehen, weshalb alle kommunalpolitischen Ziele der Standortsicherung untergeordnet werden.
Für die Natur und die Stadt, also den umfassenden Lebensraum des Menschen schädliche Projekte werden dann mit aller Kraft durchgesetzt. In Erinnerung sind hierzu vielleicht die Flughafenausbauten, Zuschüttung des Süßwasserwattgebiets Mühlenberger Loch für den A380 in Hamburg (dort nie gebaut), oder auch hier in und vor Karlsruhe Neue Messe, Edeka-Fleischwerk und unersättliche Forderung nach weiteren Gewerbegebieten.
Die innerstädtische Entwicklung seitens des Rathauses wird getrieben von der Kaufkraftabschöpfung von umliegenden Städten, ein volkwirtschaftlicher Irrsinn. Eins ums andere entstehen neue Einkaufszentren, Shoppingmalls und Stadtgalerien. Zu dieser unsinnigen Nachahmung der falschen Vorbilder wird später in diesem Dossier unter dem Stichwort „Neues Leitbild für den Städtebau“ näher eingegangen.
Ist die Stadt im Wettbewerb wirklich so naturgegeben und unvermeidbar? Aktuelle Forschungsarbeiten hinterfragen dies.
Die Anfänge zum ökonomischen Wettbewerbsdruck der Städte sind dabei in der Verschiebung politischer Regulationsformen von nationaler auf supranationaler und lokaler Ebene zu suchen.
Mit neoliberaler Politik, wie der Einrichtung des Niedriglohnsektors, Deregulierung der Finanzmärkte und Liberalisierung des Außenhandels meinte man, sich dem Prozess der Globalisierung stellen zu müssen. Die Verteidigung des Titels „Exportweltmeister“ erfordert eine ständig überdrehte Leistung. Die Antwort auf die Globalisierung ist also die Globalisierung selbst.
Mit der Abgabe von Regulationsformen aus nationaler Hand hat der Staat die Gemeinden bewußt dem ökonomischen Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Die Kürzung von finanziellen Zuweisungen ging einher mit der Übertragung von Verantwortung zur Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen von Bund und Ländern auf die Gemeinden. Die Gewerbesteuer wurde zur wichtigsten kommunalen Einnahmequelle.
Was wir in den Zielabweichungsverfahren zum Flächennutzungsplan gesehen haben, ist auch die Umwandlung der Raumordnung vom Gestaltungs- zum Wettbewerbsinstrument.
Dieser auf die Städte wirkende Wettbewerbsdruck läßt die Akteure in Politik und Verwaltung beständig die Wettbewerbsrhetorik wiederholen.
Es wird ein Wettbewerbsszenario aufgebauscht in der Art, man würde untergehen im Wettbewerb, den Anschluß verpassen. Parolen wie „viel vor, viel dahinter“ zur Stärkung des Wir-Gefühls werden verkündet. Begriffe wie Bildungsstadt, Technologieregion, europäischer Wissenschaftsstandort kursieren. Es wird eine Kampfgemeinschaft gegen das Böse draußen zusammengeschweißt, um doch nur die Partikularinteressen von Unternehmen durchzusetzen.
Durch die hegemoniale Verankerung des Ideals der wettbewerbsfähigen Stadt in der Leitbildorientierung der Kommune aber wird der Zwang zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit überhaupt erst zur Realität.
Wie schafft man nun den Ausstieg?
Die Naturhaftigkeit des Standortwettbewerbs muss entzaubert werden und die Debatte um die Stadtentwicklung politisch geöffnet werden. Die von Wettbewerbsinteressen beherrschte Stadt ist den Bürgern zurückzugeben und Spielräume lokaler Politik müssen aufgezeigt werden.
Daran knüpfen verschiedene Initiativen an.
Z. B in Hamburg das Hamburger Netzwerk Recht auf Stadt. Es vereint 24 Initiativen , die sich für bezahlbaren Wohnraum, städtische Freiräume und gegen die ökologische Entwertung des öffentlichen Raums einsetzen.
In Karlsruhe trat 2008 die Interessengemeinschaft „Die Siedler von KA“ im Kampf gegen das EDEKA-Fleischwerk auf den Plan. Allgemein steht der Erhalt des Grüngürtels zwischen Karlsruhe und Rheinstetten auf dem Programm und die Erörterung wirtschaftlicher Zusammenhänge.
Unsere historischen Ortskerne haben sich mit den vielfältigen Geschäften, Arbeitsstätten und Wohnhäusern so kompakt entwickelt, da das zu Fuß gehen Jahrhunderte lang strukturbestimmend war. Über die Jahrzehnte haben sich die Siedlungsstrukturen vom Menschen abgewandt und den Maschinen, sprich Automobilen angepasst. Die funktionalistische Trennung im Städtebau war erst mit dem Ausbau der Verkehrswege möglich. Dies wird angetrieben mit der Sicht auf die Welt vom Lenkrad aus was zum Mythos vom Mobilitätswachstum führte. Dabei ist das Mobilitätswachstum nur eine Mobilitätsillusion der Motorisierten, die keinen Mehrwert schafft. Denn man hat nachgewiesen, dass mit schnelleren Verkehrsmitteln die Reisezeiten nicht kürzer, sondern die Wege länger wurden.
Der funktionalistische Städtebau und der Straßenausbau treiben sich also gegenseitig an und sind doch nur von negativer Wirkung für den Menschen. Der Ausbau des Mobilitätsangebots führt in einem Teufelskreis zu einer Ausdehnung der Strukturen, die wiederum noch mehr Verkehr anziehen und damit wieder Mobilitätsnachfrage generieren.
Exemplarisch sind hier die exponiert gelegenen Discounter, Supermärkte und Fachmärkte. Wer nicht mit dem PKW unterwegs sein möchte, lange Einkaufstouren mit dem Fahrrad scheut, alte Menschen und Kinder sind im Nachteil. Abgesehen von der reduzierten Vielfalt und Auswahl, sind für sie diese Märkte jenseits der Wohnstraßen nahezu oder nur umständlich unerreichbar.
Die Probleme, die hieraus entstehen sind allgegenwärtig und der Ruf nach Entschleunigung wird laut. Nur so kann es zu einer Dynamisierung und Stabilisierung des Systems kommen, was meint das mit dem zurückfahren der Geschwindigkeiten auf das normale Maß positive Effekte für die lokale Wirtschaft, Fortschritt, Sozialgefüge und Öologie entstehen.
Mögliche Maßnahmen: Die Erreichbarkeit des Autos erschweren, also Reduzierung der Parkplätze. Damit wird das zu Fuß gehen, ÖpnV attraktiver.
Jüngstes Negativsignal: Upper East in KA mit Autoabstellplatz neben der Wohnung in der oberen Etage.
Bild oben: Dinge, die die Welt nicht braucht. Spielzeugmarkt an der 4-spurigen B36
Bild oben: „Einkaufsstraße“ Käppelestraße in der Oststadt. Drive – in bei Aldi, Lidl, dm, Alnatura & Co. Wie die Motten vom Licht werden Autofahrer angezogen. Kunden orientieren sich weg vom Ortsinneren, lassen Kaufkraft an der Peripherie bei den großen Playern des Marktes in deren flächenverbrauchenden eingeschossigen Flachbauten.
Bilder oben: Oberreut. Trabantenstadt vom Reißbrett mit Wohntürmen, monotonen Zeilenbauten auf grüner Wiese, Stichstraßen (typisch für Neubaugebiete) und Reihenhäusern. Das reine und exponiert gelegene Wohngebiet bedingt lange Wege zum Einkaufen und Arbeitsplätzen mit Busfahrten, Straßenbahn, PKW oder Fahrrad. Autogerecht gelegene Märkte profitieren. Vorhandene Einkaufsmöglichkeiten vor Ort erschöpfen sich bislang in wenigen Discountern und Filialbäckern. Das Ende 2011 fertiggestellte neue Einkaufszentrum bringt einmal mehr lediglich die Versorgung eines designten und vereinheitlichten Lebens näher.
Bild oben: Stopp dem Mobilitätswahn! Trasse der Nordtangente zwischen Rhein und B36 nördlich Knielingen. Hier würde quer durch die Flur und nahe an Wohngebieten eine Euro-Transitroute entstehen.
Mit den Argumenten "Schaffung von Arbeitsplätzen", "vollkommene Nahversorgung", "das ist der Markt" und "günstige Preise" dürfen sich Discounter, Supermärkte, Fachmärkte und Lebensmittelindustrie überdimensioniert und verkehrsgünstig gelegen ausbreiten. Die den großen Unternehmen entgegenkommende Bauleitplanung benachteiligt kleinere regional aufgestellte Betriebe, die sich durchaus im Wohngebiet integrieren könnten.
Dabei werden Bedeutung und Möglichkeiten des betrieblichen Mittelstandes unterschätzt. Statt vielen Arbeitsplätzen mit existenzsicherndem Einkommen durch eine Vielzahl mittelständischer Betriebe werden wenige Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor "geschaffen". Es wird verkannt, dass eine Sache preiswert ist, wenn sie ihren Preis wert ist und dies die wirklich spezialisierten ihrer Bezeichnung gerecht werdenden Fachgeschäfte mit attraktiven Sortimenten eher leisten können als die Gemischtwarenläden der Elektro- und Lebensmittelbranche. So kommt es zur Bildung großer zentraler Wirtschaftsstrukturen mit Bündelung von Kaufkraft und Marktverdrängung. Mit dem schwinden von produzierenden Metzgern, Bäckern oder aber auch Fahrradwerkstatt, Haushaltswaren- und Elektronikgeschäften aus den Wohnstraßen bleiben Filialisten mit reduzierter Auswahl an Qualität zurück und eine dürftige Vielfalt breitet sich an Einfallstraßen und in Gewerbegebieten aus. Beim Bürger bleiben zudem durch längere Wege größere Transaktionskosten hängen.
Auch die Landwirtschaft ist mit den Strukturen gewachsen. In Niedersachen lehnen sich Bürger gegen riesige Schweinemastfabriken auf, der Euter der Kuh wurde zum Parasiten gezüchtet. Dem gegenüber steht die Bäuerliche Landwirtschaft , die im besseren Fall auch ökologisch in kleineren Einheiten wirtschaftet, was besser auf die Flur, Tier , Mensch und Naturhaushalt abgestimmt ist.
Dies sind Aspekte, Unterschiede und Effekte, von den man meinen könnte, sie seien es Wert, mit Statistiken untersucht und bei Nahversorgungs- und Marktkonzepten berücksichtigt zu werden. Zumindest in der Studie Einkaufen und Nahversorgung in Karlsruhe 2007 der Stadt Karlsruhe ist dies nicht der Fall.
Mit den durch die Stadt Karlsruhe erhobenen Statistiken wird Vielfalt nicht herausgehoben und Eintönigkeit nicht aufgedeckt. Was zählt ist Masse, weniger Qualität und Vielschichtigkeit.
So werden Discounter der Nahversorgung für Lebensmittel zugeordnet und Baumärkten wird der Verkauf von nicht innenstadtrelevanten Sortimenten zugeschrieben. Diese Klassifizierung kann längst nicht mehr so eindeutig erfolgen, da Aktionswaren im Non-Foodbereich die Paletten der Discounter und handliche Waren für die Inneneinrichtung die Regale der Baumärkte füllen. Dass ein Sofa auch durchaus ohne Zwang zur motorisierten Mobilität in flächensparenden Läden und Kaufhäusern der Innenstadt gekauft werden kann wird ebenso bei der Klassifizierung "nicht innenstadtrelevant" übersehen. Auch verdient nicht jede Verkaufsstelle von Brötchen die Bezeichnung Bäckerei und es ist ebenso wenig Wurst, ob diese aus einer Fleischfabrik kommt oder handwerklich mit eigener Rezeptur hergestellt wurde.
In Karlsruhe ist auch jeder Marktstand gleich ein Markt, egal ob sich daran nur Paletten vom Großmarkt türmen. In den Marktkonzepten spiegelt sich die allgemeine Genügsamkeit in Bezug auf Lebensmittel wieder, wonach Hauptsache "Frische" und evtl noch "Gut und günstig" zählt. Nach einer weiteren Differenzierung wie etwa zwischen konventionell, bio und öko kann man suchen.
Die Handelskonzerne scheren sich weder um Klassifizierung, Einordnung in ein Zentren-Schema oder Marktkonzepte. Was zählt ist Expansion, Mittel und Wege dorthin sind gleichgültig. Dazu gehören z. B. die gute Erreichbarkeit mit dem PKW und eine preisaggressive Marktstrategie.
Grafik links: Die Studie "Einkaufen und Nahversorgung in Karlsruhe 2007" der Stadt Karlsruhe zeigt die Einkaufssituation von verschiedenen Stadtteilen mit einer bestimmten Klassifizierung. Im
Beispiel die Oststadt. Das Große Sondergebiet an der Käppelestraße steht dem kleinteilig strukturiertem Kern gegenüber. Es gibt eine nachgewiesene Umorientierung und Kaufkraftabflüsse von
der Georg-Friedrichstraße zum Ostring / Käppelestr.
Rechts oben die Statistik mit einem trügerisch guten überdurchschnittlichen Nahversorgungsgrad von 106,%, der aber weniger auf die durchaus vorhandene Vielfalt an Geschäften in der Oststadt
zurückzuführen ist, sondern sich aus dem übergroßen Angebot an Verkaufsflächen der Einkaufsmärkte an der östlichen Peripherie errechnet.
Die Kategorien "Bäckerei, Lebensmittel usw" sind wenig qualifiziert, um ein differenziertes Bild der Einkaufslandschaft wiederzugeben. Die Größe des Einkaufswagens der Kategorie "Lebensmittel"
wächst allein wegen der Verkaufsfläche, nicht wegen der Qualität. Für den nachhaltig orientierten Menschen kann aber ein kleinerer Laden in den Wohnstraßen der Oststadt viel interessanter sein.
Auch gibt es weit weniger Backstuben als die Anzahl der Brezelsymbole vorgibt.
Der Auftritt der Handelskonzerne äußert sich in drei Stufen:
1. Ungleicher Wettbewerb
Der Auftritt der Handelskonzerne trifft das Lebensmittelhandwerk, inhabergeführte Fachgeschäfte, Marktbeschicker der Wochenmärkte und kleinere Supermärkte gleichermaßen. Der ungleiche Wettbewerb lässt vorhandene Strukturen im Ortsinneren veröden. Die mit der Ausräumung einhergehende Unattraktivität führt zur weiteren Konzentration an die oft exponiert und PKW-orientiert gelegenen Betriebe der Handelskonzerne. Der suburbane Bereiche wächst, die Wirtschaft in den Ortsteilen wird ruiniert.
2. Behauptung durch Größe
Elektronikmärkte, Discounter, Vollsortimenter, Verbrauchermärkte, Baumärkte, Gartenmärkte präsentieren alljährlich ihre Expansionspläne im Wirtschaftsteil der Zeitungen. Dabei ist der Markt längst gesättigt. (In der Tat musste sogar schon Metro eine Stagnation einräumen, nach Jahren kontinuierlichem Wachstums in Deutschland) Gesamtwirtschaftlich betrachtet machen diese Expansionen also keinen Sinn. Der Ertrag umgelegt auf die Verkaufsfläche sinkt. Gewinner sind lediglich die einzelnen marktstarken Unternehmen. Der Geldkreislauf erweitert sich weg von der Region hin zu den großen Einzelhändlern und ihren Großzulieferern.
3. Wettbewerb um den günstigsten Preis
Mit dem Wettbewerb um den günstigsten Preis ist sogar ein sinken der Umsätze vorprogrammiert, wenn sie nicht durch Masse ausgeglichen werden. Volkswirtschaftlich ist dies eine Katastrophe, da die Abwärtsspirale zu niederen Einkommen vorangetrieben wird. Geringere Steuern und geringere Abgaben zu Kranken- und Rentenkassen sind die Folge. Die niedrigeren Preise führen zu einem niedrigerem Mehrwertsteueraufkommen. Durch Konzentration der Lieferanten auf Großbetriebe sinken schließlich auch in den Branchen der Zulieferer die Arbeitsplätze.
Bild oben: Der Blick in die Zahlen des statistischen Bundesamtes und auch Zeitungsartikel zeigen: Die "Aldisierung" der Gesellschaft durch Lidl und Aldi hat statistisch belegbare schädigende Ausmaße für Wirtschaft und Gesellschaft angenommen.
Bild oben: Mediamarkt in Gesellschaft weiterer Fach- und Supermärkte an einer Landstraße bei Bruchsal. 2.! Media Markt bei Bruchsal
MediaMarkt und Saturn setzen auf profitables Wachstum bei Wahrung der Pseudokonkurrenz innerhalb des Metro-Konzerns mit abgesteckten Claims. 2005 gab es noch 2,4% Wachstum. Aktuell
Stagnation wohl durch Sättigung
Bild oben: Anhäufung von Bau-, Möbel- und Bettenmärkten im Gewerbegebiet Hagsfeld. Sie führen Produkte, die durchaus auch innenstadtrelevant sind.
Bild oben: Edeka-Fleischwerk Rheinstetten. Politik, Verwaltung und Edeka versuchten in ihrer Begründung für den 2011 fertiggestellten Bau zu überzeugen, dass hier Arbeitsplätze geschaffen würden. In Wirklichkeit werden für diesen Umweltfrevel andere Standorte geschlossen und Chancen für kleine und mittlere Betriebe genommen. Per Salamitaktik wird stückweise die offene Landschaft zugebaut.
In diesem Kapitel wird die Wirkung der Bauweise betrachtet.
Der Zeilenbau war und ist unter Stadtplanern eine beliebte Siedlungsform. (Siehe Beispiele in der Waldstadt, Nordweststadt, Großoberfeld, neuestes in Kirchfeld-Nord)
Dies wirft die Frage auf, war der Städtebau der vergangenen Jahrzehnte ein Bauen mit Charme?
Zunächst werden einige Interessen bedient:
Doch die Kehrseite der Medaille birgt ein Potential für Fehlentwicklungen.
Die Grünflächen sind vom Straßenraum einsehbar. Beruhigte wirkliche private Grünflächen werden besser und effizienter mit einer Blockrandbebauung geschaffen.
Abstandsgrün und frei stehende Wohnblöcke ergeben eine wenig effiziente Flächennutzung. Diese befördert zum einen den Flächenverbrauch
Zum anderen drängt der hohe Anteil privater Flächen mit Vorgärten und Abstandsgrün den öffentlichen Raum zurück.
Der Bruch mit der Stadtbaugeschichte sah auch keine sequenzartige Strukturierung des Raumes mit Plätzen mehr vor. Das Gefühl für ein perspektivisches Erlebnis des Stadtraums ging verloren. So entstanden Straßen von geringem Reiz.
Die Straßen in den reinen Wohngebieten sind strukturarm und damit eintönig. Dies wird verstärkt durch eine phantasielose, variantenarme und einheitliche Bebauung
All dies führt zum Verlust des öffentlichen Raums. Die Straße verliert an Aufenthaltswert und wird in ihrerä auf den Träger für den motorisierten Verkehr reduziert.
Im Quartier angesiedelte Geschäfte haben keinen guten Stand. Denn
Zusammenfassend bildet sich über das Experiment der Moderne, mit der über Epochen beschrittenen Stadtbaugeschichte zu brechen das Urteil, dass dieses Experiment gescheitert ist.
Album oben, Spaziergang durch die Nordweststadt. Bilder von Matthias Böhringer:
Zeilenbau in der Nordweststadt. (Bild 1+2) Die Zeilenbauten sind gestaffelt hintereinander quer zur Straße angeordnet. Dazwischen vom Straßenraum einsehbares Abstandsgrün ohne weiteren privaten Nutzen. Die Straße mag je nach Geschmack öd oder ruhig wirken. (Bild 3+4) Die Gehwegnutzung zieht nicht. Lange Wege und unattraktive Spaziergänge an strukturarmer, phantasieloser, einheitlicher Bebauung ohne perspektivisches Erlebnis. (Bild 5+6) Leerstände. Geschäfte werden nicht angelaufen. Der Köhlerplatz liegt versteckt abgesetzt von der Straße. Am jetzigen Standort des Penny-Marktes an der S-Bahnhaltestelle am Rande des alten Flugplatzes entsteht eine Konkurrenz durch leicht anfahrbares EKZ mit Discounter + Vollversorger im Doppelpack.
Album oben, Spaziergang durch die Waldstadt. Bilder von Matthias Böhringer:
Zeilenbau in der Waldstadt. (Bild 1) Mit der Waldstadt wurde in den 1950ern die Idee „Wohnen im Wald“ umgesetzt. Ein neuer Stadtteil entstand abgesetzt von den bestehenden Stadtteilen im Hardtwald. Im Beispiel ein beschatteter Zeilenbau, die Balkone nach Osten entgegen der Abendsonne ausgerichtet. (Bild 2) Wald, der kein Wald mehr ist dazwischen. Uniforme langweilige Gebäude. Unterschiede gibt es nur in Straßen zueinander. (Bild 3) Lange Wege in der Waldstadt. (Bild 4) Gehwegnutzung im Alter. Wie in der Nordweststadt können unattraktive Spaziergänge an strukturarmer, phantasieloser und einheitlicher Bebauung unternommen werden. (Bild 5) Schwierige Umstände für Geschäfte durch Lage am Kopfende von langen Straßen ist anerkannt. Überraschenderweise gibt es immerhin ein Möbelgeschäft hier, ein Fahrradladen dort. Sonst aber keine vielfältige Versorgung für Güter des täglichen Bedarfs.
Leidtragende in diesem nüchternen Umfeld sind Personengruppen, die sich stark mit ihrem Umfeld auseinandersetzen und mit diesem leben. So die Jugend.
Die vom geschäftigen Leben ausgeräumten Wohnsiedlungen bieten mit ihren für den Aufenthalt reizlosen Straßen und mangelnden öffentlichen wie privaten Räumen aber viel langweiligem Abstandsgrün Jugendlichen und Kindern kaum Gelegenheit, sich zu treffen, zu spielen, Dinge zu entdecken, sich zu bewegen und gemeinsam ihre Freizeit zu verbringen.Wo es nichts zu sehen und zu erleben gibt und die Arbeitswelt entrückt ist, werden die Entwicklung von Selbständigkeit und sozialem Lernen eingeschränkt und Blicke in die Arbeitswelt versperrt.Oft haben daher nach "modernen" Gesichtspunkten gestaltete Viertel mit sozialen Problemen und unerwünschtem Jugendverhalten zu kämpfen.
Bild oben: In Stadtteilen mit wenigen neutralen Räumen und öffentlichen Nischen kommt es häufig zur unerwünschten Konzentration an Orten, wo Jugendliche unter sich sein können. So etwa an der tiefer gelegten Straßenbahnhaltestelle Kurt-Schumacher-Straße in der Nordweststadt.
Die Wirkung eines Wohngebietes auf dessen Einwohner kann zur sozial-räumlichen Polarisierung führen. Das Ergebnis ist die Segregation - die Trennung sozialer Gruppen. Dabei wirken Nachbarschaftseffekte verstärkend auf das Leben mit Gegebenheiten, z. B. wenn ein Discounter als normale Nahversorgung angesehen wird. Wohngebiete stellen eine Opportunitätsstruktur mit vorhandenen oder nicht vorhandenen Angeboten bereit. Kommen mangelhafte Angebote und wirtschaftlich schwache Haushalte mit geringen Aktionsradien zusammen, so potenziert sich die Benachteiligung. Die Gefahr der Ghettoisierung liegt dann nahe.
Bild oben: In diesem Mikrokosmos gibt es nur die Bewegung zwischen dem Wohnturm und dem Netto. So wird Segregation mit sozial schwachen Gruppen gefördert.