Große Auszeichnung für den Naturschutz:

Bundesverdienstkreuz für Artur Bossert

Interview: Cornelia Buchta mit Artur Bossert (Dezember 2021)

 

CB: Lieber Artur, die NABU Karlsruhe Gruppe freut sich sehr mit dir, als ihrem Vorsitzenden, über diese große Auszeichnung! Es gab bereits zahlreiche Berichte und Interviews in der Presse. Aber als Mitarbeiterin deiner eigenen NABU Gruppe möchte dir gerne noch einige persönliche Fragen stellen:

 

Was ging dir spontan durch den Kopf, als du von der Auszeichnung erfahren hast?

 

AB: Ich war sehr sehr überrascht, als die Nachricht vom Staatsministerium kam – mit so etwas habe ich ja nie gerechnet. Aber natürlich habe ich mich sehr gefreut, insbesondere auch, als sich die Stadt Karlsruhe gemeldet und mir mitgeteilt hat, dass die Verleihungszeremonie im Haus Solms stattfinden würde. Oberbürgermeister Dr. Mentrup würde begrüßen und Staatssekretär Dr. Andre Baumann würde die Laudatio halten und die Auszeichnung überreichen. Ihn kenne ich ja noch als früheren NABU-Landesvorsitzenden. Eine große Ehre für mich und unsere Gruppe Karlsruhe!

 

Wann hast du mit dem Naturschutz angefangen und was war dein Antrieb oder wer war dein Vorbild?

 

Die Natur mit ihren Tieren und Pflanzen hat mich schon als Kind begeistert. Ich bin 1946 geboren und in Durlach aufgewachsen. Damals war außerhalb des Stadtkerns die Umgebung noch sehr ländlich. In den Bächen gab es viele Molche, Kröten und Frösche, in den Gärten zahlreiche Vogelarten, im Herbst saßen Hunderte von Schwalben auf den Stromleitungen. So habe ich schon als Kind eine reiche Tierwelt kennengelernt. Ende der 1960 er Jahre, während des Studiums, besuchte ich dann die monatlichen Treffen des „Bundes für Vogelschutz“ und sah mit Begeisterung die Dia- und Filmvorträge der Vogelexperten. Dies waren vor allem Werner Herzog, Josef Seider, Hermann Rastätter, Günter Müller und Klaus Kußmaul. Insbesondere mit letzterem habe ich Exkursionen vor allem in die Rheinauen unternommen und von ihm vieles gelernt, z.B. Vogelstimmen, wurde aber auch mit den damals schon im Zuge des Wirtschaftswunders stattfindenden Eingriffen in die Natur konfrontiert. Ich habe aber auch die oft vergeblichen Versuche erlebt, dieser negativen Entwicklung gegenzusteuern. Ich glaube, darin liegt der Ursprung meiner Naturschutzarbeit. Im Bund für Vogelschutz war ich zunächst Kassenführer und wurde dann 1975 zum Vorsitzenden gewählt. Diese Amt übe ich noch heute aus.

 

Warst du schon immer in Karlsruhe tätig?

 

Ja – in Karlsruhe lag schon immer der Schwerpunkt meiner Arbeit; hier wohne ich ja auch. Der Stadt und den Menschen bin ich sehr verbunden und hier kenne ich mich am besten aus. Von 1975 – 1987 war mein Wohnsitz allerdings in Stutensee. So lernte ich auch den Landkreis näher kennen. Ich bin seit der Zeit stellvertretender Kreisvorsitzender und auch heute noch im Landkreis aktiv. Damals ist es mir gelungen, neue Ortsgruppen und den Kreisverband zu gründen. Seit damals bin ich auch im ehrenamtlichen Naturschutz des Landkreises engagiert; mittlerweile auch im Vorstand des Landschaftserhaltungsverbandes.

In Karlsruhe selbst habe ich über die Jahrzehnte hinweg zusammen mit vielen weiteren Aktiven – z.B. Heinz Schölzel, Max Albert, Uli Hofmann oder Heinz Lehn die Verbandsarbeit gestaltet, um den damaligen „Deutschen Bund für Vogelschutz – DBV“ – später „NABU – Naturschutzbund Deutschland“ den wachsenden Herausforde-rungen an den Naturschutz anzupassen. Dies geschah insbesondere durch ein vielfältiges und anspruchsvolles Vortrags- und Exkursionsprogramm, besondere Artenschutzmaßnahmen z.B. für Wasseramsel und Schleiereule, die Einrichtung einer Geschäftsstelle, die Steigerung der Mitgliederzahlen (von 200 auf über 3.500), vor allem aber durch politische Arbeit in vielen Gremien sowie die „klassische“ Verbandsarbeit z.B. durch Stellungnahmen zu unzähligen öffentlichen Planverfahren. Heute kann man sagen, dass der NABU der kompetente und gefragte Ansprechpartner für die städtischen Ämter, aber auch für die Öffentlichkeit in Sachen Naturschutz ist.

 

Gibt es in deinen zahlreichen NABU-Betätigungsfeldern eine Herzensangelegenheit?

 

Ein Naturschutzverband in einer wachsenden Großstadt ist mit vielen Fragestellungen und Problemen konfrontiert – vom Flächenfraß durch Bebauung, Verkehrs – und Infrastrukturprojekten über Klima, Artenschutz, Landwirt-schaft und vieles mehr. Man wird von manchen Entwicklungen einfach überrollt, andere kann man mehr oder weniger beeinflussen. Deshalb muss man sich schon gut überlegen, wo man sich einbringen kann, ohne sich selbst, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und den Verband zu überfordern. Ich versuche natürlich zusammen mit den Aktiven an vielen Stellschrauben zu drehen, bei Verkehrsprojekten wie der sogenannten zweiten Rheinbrücke und den nachfolgenden geländefressenden Straßenplanungen, beim Schutz von Amphibien und gebäudebrütenden Vogelarten, im Klimaschutz oder Fragen der notwendigen, aber naturverträglichen Energiewende. All das kostet unendlich viel (Frei-)Zeit. Statt meinen Ruhestand zu genießen, beschäftigt mich der Naturschutz mehr denn je. Aufwand und Erfolg stehen aber in keinem Verhältnis, insbesondere wenn man den rasant fortschreitenden Artenschwund betrachtet. Die Gründe hierfür sind sehr komplex und hängen von der „großen Politik“ auf EU- oder Bundesebene oder allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen ab, die man als Einzelner oder als Ortsverband des NABU wenig beeinflussen kann. Da sorgen aber schon kleine Erfolge z.B. bei Arten wie dem Steinkauz dafür, dass die tägliche Motivation erhalten bleibt. Deshalb ist der Artenschutz „vor Ort“ und da vor allem in den Bergdörfern nach wie vor mein bevorzugtes Betätigungsfeld.

Welches Tier oder welche Tiergruppe fasziniert dich am meisten?

 

Seit einigen Jahren habe ich die Koordination der Wanderfalkenbetreuung übernommen, nachdem ich schon vorher bei der AGW (Aktionsgemeinschaft Wanderfalkenschutz im NABU) tätig war. Karlsruhe ist ja einer der „Hotspots“ dieser so beeindruckenden Vogelart. Von meinem Wohnsitz aus kann ich mit dem Spektiv unmittelbar einen der hiesigen Brutplätze beobachten und bin immer wieder von diesen rasanten Fliegern fasziniert. Ihre Flugspiele, aber auch die Jagd, das Brutgeschäft oder das Verhalten gegenüber dem ebenfalls dort ansässigen Kolkraben zählen zu den schönsten Erlebnissen, die ein Naturschützer haben kann. Aber ich freue mich auch am Eichhörnchen, das im Baum vor meinem Arbeitszimmer seine Jungen großzieht, der Ringelnatter am Gartenteich, den Schmetterlingen und Wildbienen im Naturgarten, der Spitzmaus im Holzstapel, der Zauneidechse im Steingarten oder an den Kleinvögeln, die jetzt im Winter das Futterhaus bevölkern. Die Natur ist so vielfältig, da gibt es immer etwas zu beobachten und – was ich natürlich auch gerne mache – zu fotografieren.

 

Zu welcher Landschaftsform hast du die engste Beziehung?

Ich wohne seit 1988 in Grünwettersbach, und dort sowie in den Nachbarorten gibt es noch zahlreiche Streuobstwiesen mit alten, zum Teil riesigen alten Obstbäumen. Sie gehören zu den artenreichsten Formen unserer Kulturlandschaft – abgesehen von der Ästhetik, die sie vor allem im Frühling, in der Blütezeit bieten. Wir haben deshalb vor über zehn Jahren einen Streuobst-wiesenlehrpfad angelegt. Kaum aus dem Haus, bin ich schon nach wenigen Schritten mittendrin, kenne dort jeden Winkel und kann seit Jahrzehnten beobachten, welche Tiere und Pflanzen dort vorkommen. Leider muss ich feststellen, dass einige Arten mittlerweile ganz verschwunden sind – Sumpfrohrsänger, Feldschwirl, Baumpieper etwa. Andere haben dramatisch im Bestand abgenommen, z.B. die früher allgegenwärtige Goldammer, aber auch die vordem so reiche Insekten- und Schmetterlingsfauna. Ich führe das auf die zwischen den Streuobstflächen ausgeübte Intensivlandwirtschaft zurück. Es tut weh, wenn man wie in diesem Jahr vor lauter Mais keine Bäume mehr sieht und der früher weite Blick bis in den Schwarzwald an einer grünen Wand endet. In dieser ökologisch fatalen Kulturform fliegt keine Wildbiene, brütet kein Vogel mehr. Zum Glück hat sich jetzt ein junger Landwirt angesiedelt, der mit seinen Schafen die Wiesen beweidet und so dazu beiträgt, dass die Artenvielfalt wieder gefördert wird.

 

Auf welche Naturschutzerfolge oder Projekte bist du besonders stolz?

 

Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten. Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter – so ist es auch beim NABU. Es gab und gibt bei uns nicht wenige Naturschutzpraktiker in und außerhalb des Vorstandes, die im Bereich des Arten- oder Biotopschutzes Hervorragendes geleistet haben und immer noch leisten - und ohne die unsere vielfältigen Projekte nicht umzusetzen wären. Ihnen bin ich unendlich dankbar. Meine Aufgabe als Vorsitzender der nach Stuttgart größten Ortsgruppe des NABU in Baden-Württemberg sehe ich damals und heute darin, Handlungsbedarf zu erkennen, die Naturschutzarbeit zu koordinieren, den Aktiven die Mittel und Möglichkeiten für ihre Projekte an die Hand zu geben, Kooperationen zu schaffen, Menschen zusammenzuführen, „strategische“ Partner einzubinden, Projekte anzuregen und in Gang zu bringen, Erfolge herauszustellen, die Öffentlichkeit zu informieren und für unsere Arbeit zu begeistern, politische Lobbyarbeit zu leisten und den NABU als Fachverband für Naturschutz weiter zu fördern. Das ist oft wenig spektakulär und mit viel Schreibtischarbeit verbunden, ist aber unerlässliche Führungsaufgabe, um den NABU insgesamt stark zu machen und zu einem politisch wichtigen Faktor weiter zu entwickeln. Die ehrenamtliche Arbeit in den Gruppen ist ja gerade die Stärke unseres Verbandes, sie wirkt unmittelbar in der Kommune, wo viele naturschutzrelevante Entscheidungen fallen - und ergänzt so die Arbeit der Landesverbände und des Bundesverbandes, die jeweils auf ihren Ebenen tätig werden.

 

Welches sind die größten Veränderungen, die du in den langen Jahren der Naturschutzarbeit beobachtet hast?

 

Als ich Ende der 1960 er Jahre zum Bund für Vogelschutz kam, war der Verband tatsächlich geprägt von dem, was auch sein Name aussagte: dem (traditionellen) Vogelschutz. Man förderte die heimische Vogelwelt im Wesentlichen durch Aufhängen von Nistkästen oder das Anlegen von „Vogelschutzgehölzen“. Manche hielten auch Vögel in Volieren. Es gab einige Naturfotografen, die seltene Arten wie Rohrweihe, Eisvogel, Flussregenpfeifer oder Blaukehlchen aufspürten, sie auf Zelluloid bannten und einem interessierten Fachpublikum in Vorträgen nahe brachten. Vogelschutz war in der Bevölkerung außerordentlich populär; ich habe z.B. Vogelstimmenführungen im Hardtwald erlebt, bei der sich morgens um 4 (!) Uhr bis zu 150 Personen einfanden.

Eine eigene Naturschutzverwaltung im heutigen Sinne gab es noch nicht – das Thema war traditionell im Kultusministerium angesiedelt. Parallel zur Einrichtung der amtlichen „Bezirksstellen für Naturschutz“ (BNL) und ihren herausragenden Persönlichkeiten wie Günter Müller oder Ernst Frey und den sich in immer stärkerem Maße abzeichnenden Bedrohungen der Natur hat sich auch unser Verband auf Bundes-, Landes- und Ortsebene den wachsenden Herausforderungen gestellt. Der „DBV“ wurde eine nach Naturschutzgesetz anerkannte Naturschutzvereinigung mit besonderen Beteiligungs- und Klagerechten. Mit zentraler Mitgliederverwaltung, einer bundesweiten Mitgliederzeitschrift („Wir und die Vögel“ – jetzt: „Naturschutz heute“), besonderen öffentlichkeits-wirksamen Aktionen („Vogel des Jahres“, Stunde der Gartenvögel“), Fachgremien, dem Kauf und der Pflege von Schutzgebieten, Kinder- und Jugendarbeit („NAJU“) und vielfältiger Öffentlichkeitsarbeit wuchsen auch die Mitgliederzahlen rasant. Mit der Wiedervereinigung und der Umbenennung in „Naturschutzbund Deutschland - NABU“ ergab sich ein weiterer Schub, sodass der NABU heute eine der größten Naturschutzvereinigung in Europa mit entsprechendem politischen Gewicht darstellt.

Von der Kommune über die Länder und den Bund, sogar auf internationaler Ebene betreiben wir heute Naturschutz in allen erdenklichen Formen und Zuständigkeiten. Stark sind wir aber nach wie vor durch konkrete Maßnahmen in der Gemeinde, im eigenen Umfeld durch „klassischen“ Natur- und Artenschutz z.B. für Gebäudebrüter, Amphibien, Schutz und Pflege von Biotopen oder durch naturgemäße Bepflanzung von Gärten. Hier kann jede/r mitmachen, denn da gibt es keine Hemmschwellen; gerade auch Kinder können wir so leicht an die Natur heranführen. Daneben spielen aber auch die Megathemen Klimaschutz, Energie- und Verkehrswende unmittelbar in unsere Arbeit vor Ort. Deshalb begleiten wir Gemeinderat und die kommunale Verwaltung mit unserer Fachkompetenz bei ihren Planungs- und Entscheidungsprozessen als Anwälte der Natur – eine Aufgabe, die nicht immer konfliktfrei , aber absolut notwendig ist. Unser Slogan: „NABU – für Mensch und Natur“ steht für diese Arbeitsweise des ehrenamtlichen Naturschutzes.

 

Ist der Naturschutz in Deutschland auf dem richtigen Weg?

 

Ja – unbedingt. Um ein Gegengewicht zu den mächtigen und bestens mit der Politik vernetzten Lobbyisten z.B. aus Wirtschaft, Landwirtschaft, Energie- und Chemiekonzernen, Naturnutzern und Naturzerstörern zu bilden, braucht es (mitglieder-)starke Naturschutzverbände, denn nur so lassen sich Politiker beeindrucken. Ich ernte immer Erstaunen, wenn ich ihnen sage, dass wir mehr Mitglieder haben als eine der „großen“ Volksparteien. Es ist also ganz wichtig, den NABU in der breiten Öffentlichkeit durch seine Arbeit positiv darzustellen und seine Argumente für den Schutz der Natur gegen den Widerstand, die Lethargie oder die Gleichgültigkeit in Politik und Gesellschaft einzubringen. Mein Motto war und ist: „Tu Gutes und rede darüber“, und ich denke, das hat sich bewährt. Die Zukunft der Menschheit steht angesichts dramatischer Entwicklungen durch den Klimawandel und das galoppierende Artensterben vor existentiellen Herausforderungen. Wir müssen diese akzeptieren, unmissverständlich klarlegen, aber auch den Entscheidungsträgern und jedem einzelnen Bürger die Notwendigkeiten und Möglichkeiten aufzeigen, die jetzt angesagt sind. Das ist sehr anstrengend, provoziert Widerstände, löst Frustrationen aus. Dennoch – das Bewusstsein, etwas Positives bewirken zu können, gibt Mut und lässt hoffen. Was wäre denn die Alternative?

 

Was bedeutet diese Auszeichnung für dich und den NABU Karlsruhe?

Der Erfolg und damit die Anerkennung durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an mich als langjährigen Vorsitzenden der NABU – Gruppe Karlsruhe ist das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit über viele Jahre. Die Auszeichnung hätten somit viele Aktive verdient, und ich widme sie symbolisch und in Dankbarkeit auch meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Verein. Seid also mit mir stolz darauf, dass es diesmal - was ja nicht so häufig vorkommt - eine Person aus dem Naturschutz getroffen hat, die solchermaßen geehrt wurde. Ich denke, dass damit der Naturschutz insgesamt in seiner Bedeutung anerkannt und gestärkt wurde. Ich habe viele anerkennende und zustimmende Rückmeldungen erhalten, auch von Menschen, die ich seit Jahrzehnten nicht mehr getroffen habe oder an die ich mich kaum noch erinnere. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Es bedeutet aber auch, tatkräftig weiter zu arbeiten, so lange es die Gesundheit zulässt – und zu hoffen, dass mich möglichst viele Aktive in und außerhalb des NABU bei diesem Gemeinschaftswerk unterstützen. Die Natur ist es wert!