"Wildnis vor der Haustüre" – Die Wanderfalken an St. Bernhard in Karlsruhe

von Joachim Schröder 9. April 2020

Wanderfalkenweibchen am Gelege, Foto: J. Schröder
Wanderfalkenweibchen am Gelege, Foto: J. Schröder

 Im Januar 2020 verschickte die Geschäftsstelle des NABU Karlsruhe wieder einen ihrer interessanten Newsletter. Ein Artikel stach mir dabei ins Auge: Wanderfalkenbetreuer gesucht! Durch den viel zu frühen Tod von Friedemann Scholler – dem in höchstem Maße engagierten Organisator des Schutzes für die beeindruckenden Vögel – gab es in Karlsruhe keine Betreuer mehr.

 

Bisher eher passives Mitglied im NABU, ergab sich hier für mich eine Möglichkeit – bei „freier Zeiteinteilung“ – eine verantwortungsvolle Aufgabe für den Naturschutz im NABU zu übernehmen. In einem Gespräch mit Artur Bossert, Vorsitzenden des NABU Karlsruhe, wurden mir die wichtigsten Rahmenbedingungen genannt und eine entsprechende Fachbroschüre bot weiteres, vertiefendes, erstes Wissen.

 

Der Landkreis Karlsruhe ist ein absoluter Hotspot für Wanderfalken in Baden-Württemberg. So verzeichneten wir in 2019 mit 31 Jungvögeln aus 12 Bruten die höchste Reproduktionsrate im ganzen Land (Quelle: Jahresbericht der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz). Einer dieser Brutplätze in der Region ist die Kirche St. Bernhard am Durlacher Tor in Karlsruhe. Mitten in der Großstadt gelegen, bietet der Turm mit seinen 93 m Höhe ideale Bedingungen für einen Wanderfalken-Horst; Wanderfalken sind mittlerweile überwiegend Bebrüter an bzw. auf Gebäuden. Nach dem Gespräch mit dem Vorsitzenden des NABU Karlsruhe wurde dieser Brutplatz zur Betreuung ausgewählt.

 

Mitte Februar begann dann die Beobachtungstätigkeit. Beim ersten Besuch konnten beide Vögel in der Turmspitze beobachtet werden. Einige Tage später saß der Terzel im Horsteingang und bot somit seinem Weibchen diesen Nistplatz an. In den folgenden Tagen bot sich mehr oder weniger immer das gleiche Bild: die Vögel flogen um den Horst in der Turmspitze herum, kröpften ihre Beute in der Turmspitze oder betrieben Gefiederpflege.

 

Anfang März dann die Bestätigung, dass „es voran geht“. Am späten Nachmittag konnte ich beobachten wie der Terzel im Horsteingang saß, während sich das Weibchen oberhalb im Turm aufhielt. Plötzlich startete der Terzel, segelte eine Runde im Osten der Kirche und flog von unten kommend wieder den Nistplatz an – landete jedoch nicht dort, sondern sanft auf dem Weibchen und es kam zur Kopula der beiden! Einige Tage später in der Mittagszeit das gleiche Spiel wieder.

 

Mitte März änderte sich das Bild etwas. Meist war nur ein Vogel zu sehen. Eines Morgens konnte ich beobachten, wie der Terzel einen kleinen Vogel kröpfte. Nach seinem Frühstück flog er wieder vom Turm fort und kehrte keine fünf Minuten später zurück. Er flog den Horsteingang an und übergab seine Beute an das Weibchen, welches (ein halbe Stunde nach Beobachtungsbeginn) aus dem Horst kam und die Beute übernahm. Sie flog ein Runde und landete oberhalb des Horstes um „das Geschenk“ des Terzels zu kröpfen. Ein gutes Zeichen – offensichtlich hatte die Eiablage begonnen!

 

In Absprache mit der AG Wanderfalken und unserem NABU wurde beschlossen, Ende März eine Horstbesichtigung zu versuchen. Am Spätnachmittag des 26. März 2020 erfolgte der Turmaufstieg zur Horstkontrolle. Viele Treppen und Leiterstufen später sowie in schwindelerregender Höhe innerhalb des Kirchturms von St. Bernhard konnte der Horst begutachtet werden. Mit ausgebreiteten Flügeln verteidigte das Weibchen ihr Gelege – denn es befinden sich drei Eier im Horst! Zwei Eier liegen nahe beieinander – ein Ei etwas abseits der beiden, aber alle werden von dem Weibchen bebrütet. Natürlich war das Weibchen ob der Störung ärgerlich und wütend und flog auch davon. Dabei umkreiste sie rufend den Horst, landete in dessen Nähe, flog wieder auf und umkreiste wieder den Turm.

 

Glücklicherweise ist bei den Wanderfalken der Bruttrieb sehr stark. So konnten wir etwas später von unten sehen, wie das Weibchen nach bestimmt einem Dutzend Turmumkreisungen wieder den Host enterte und weiterbrütet. Die Aufregung der Wanderfalken und das Drohen des Weibchens wurde am Fuß des Kirchturms von Klaus Stapf – einem weiteren „neuen“ Horstbetreuer – beobachtet und fotografiert.

 

Eine wunderbare Entdeckung, Erfahrung und natürlich eine tolle Nachricht, die gleich an den NABU und die Arbeitsgemeinschaft weitergeleitet wurden. Auch die Verantwortlichen der Kirchengemeinde St. Bernhard freuen sich sehr über diese Nachricht.

 

Nun heißt es abwarten und hoffen, dass alle Eier befruchtet waren und die Küken bald schlüpfen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird es wieder lauter um St. Bernhard werden. Denn dann heißt es für die Altvögel Nahrung in großen Mengen heranzuschaffen, um die hungrigen Schnäbel der Jungen zu stopfen...

 

Immer wieder beeindruckend und wundervoll: Die Wanderfalken von St. Bernhard. Faszinierende Vögel in der Wildnis der Stadt – mit hoffentlich vielen weiteren Sichtungen und Erlebnissen...